Statistiken in 20 Minuten
«20 Minuten» macht Meinung – nicht Statistik
Warum diese Umfrage nichts über die Schweiz aussagt, aber viel über die Medienlandschaft.
Die neueste Propaganda-Perle kommt von 20 Minuten. Titel: «Mehrheit der Schweizer unterstützt das neue EU-Vertragspaket». Klingt eindeutig, ist aber reine Desinformation – mit Statistik, versteht sich.
Das Prinzip ist so alt wie perfide: Man nehme ein paar Umfragewerte, rühre kräftig im Nebel der Begriffe «relativ», «eher dafür» und «noch unentschlossen» und verkaufe das Ganze dann als «Stimmung im Land». Faktisch ist das nichts weiter als Meinungsmache mit pseudowissenschaftlichem Anstrich.
Die Grundlage dieser irreführenden Headline?
Eine Umfrage unter exakt 1’670 Personen.
Wer sich auch nur einmal in eine Statistikvorlesung verirrt hat, weiss: Solche Zahlen sagen nichts aus, wenn die Stichprobe nicht repräsentativ für die gesamte Stimmbevölkerung ist. Und genau das ist sie nicht. 20 Minuten behauptet trotzdem:
«Eine relative Mehrheit der Befragten spricht sich (eher) für das neue Vertragspaket mit der Europäischen Union aus.»
Und weiter heisst es: «Diese Zahl ist vor dem Hintergrund interessant, dass eine starke Mehrheit der Bevölkerung (69 Prozent) die Meinung vertritt, dass sich die EU – im Gegensatz zur Schweiz – in den letzten 20 Jahren nicht in die richtige Richtung entwickelt habe: Dies weise auf eine „differenzierte Einschätzung“ der Stimmbevölkerung hin, erklärt Wasserfallen.»
Falsch. 1. Semester Statistik. Eine Einschätzung der Stimmbevölkerung auf Basis einer nicht-repräsentativen Teilgruppe – glatte Themaverfehlung. Statistikprüfung: Durchgefallen. Aber für das 20-Minuten-Niveau reicht es offensichtlich.
Und wer gehört eigentlich zu dieser «Befragungs-Grundgesamtheit»? Laut dem Reuters Institute Digital News Report 2023– Länderbericht Schweiz ist 20 Minuten die zweitmeistgenutzte Informationsquelle nach SRF, wenn man traditionelle Kanäle wie TV, Radio und Print betrachtet. In der Deutschschweiz nutzen 37 Prozent der Leute 20 Minuten. Was heisst das? Das 20-Minuten-Publikum ist per Definition Mainstream. Leute, die sich morgens beim Pendeln schnell den Kaffeerahm in die Augen reiben und das Weltgeschehen in 90 Sekunden konsumieren.
Also genau jene Zielgruppe, die spätestens seit Corona nicht mehr zur kritischen Masse zählt – sondern eher zur Masse ohne Kritik. Diejenigen, die sich selbst informiert haben, wissen: Wer sich ausschliesslich über 20 Minuten & Co. informiert, lebt in einer Blase. Oder wie man heute sagt:
Brainwashed light.
Der Studienleiter Fabio Wasserfallen fabuliert trotzdem weiter: «In diesem Segment der Stimmbevölkerung liegt für die Befürwortenden und die Gegnerschaft entsprechend noch viel Potenzial.»
Sorry, Professor. Aber aus der Meinung von 1’670 Teilnehmern auf eine nationale Meinungsbildung (Stimmbevölkerung) zu schliessen, ist wissenschaftlich unseriös. Das wissen Sie. Oder Sie sollten es wissen. Wenn nicht: auch durchgefallen.
Und die grösste Pointe kommt zum Schluss:
Die Umfrage wurde von Tamedia in Auftrag gegeben. Wer LeeWas kennt, weiss: Für Geld wird jede Statistik so gebogen, wie es der Auftraggeber wünscht. Die Resultate sind keine Realität – sie sind ein Spiegelbild der Wünsche des Auftraggebers.
Besonders dreist: 20 Minuten verweist stolz darauf, dass ihre Leserschaft laut einer Studie der Uni Zürich politisch «weder besonders links noch besonders rechts» sei. Aha. Und das soll jetzt was beweisen? Politisch ausgeglichen heisst eben nicht automatisch repräsentativ für die gesamte Stimmbevölkerung. Das ist, als würde man behaupten: «Mein Freundeskreis isst sowohl Pizza als auch Pasta – also spiegelt er die gesamte Schweizer Esskultur wider.» Nice try. Journalismus war das mal.
Früher nannte man es Propaganda. Heute heisst es Wirklichkeitsmanagement – klingt schicker, meint aber dasselbe:
Die Lüge so lange recyceln, bis sie wie Wahrheit riecht.
Fazit
Diese Umfrage zeigt bestenfalls die Meinung der 20-Minuten-Leserschaft. Und das ist – wie wir alle wissen – nicht die Schweiz, sondern eine Medien-Zielgruppe, die sich mit Gratisnews berieseln lässt. Wer daraus «die Meinung der Bevölkerung» bastelt, betreibt bewusste Irreführung. Punkt.
#StatistikZurückInDieVorlesung
#WirklichkeitsmanagementMyAss
#MissionErfüllt
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