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Vom Patienten zum Datenpunkt oder: Der Bund digitalisiert sich selbst ins Koma

6.Nov.. 2025 | 0 comments

Vom Patienten zum Datenpunkt

oder: Der Bund digitalisiert sich selbst ins Koma

Nach acht Jahren Stillstand, 1‘250 Jahren Hochrechnung und einem Faxgerät als Symbol der Digitalisierung: Der Bund startet das elektronische Gesundheitsdossier (E-GD) und nennt sein Scheitern einfach «Neuausrichtung».

Der Patient ist tot, es lebe das Dossier! Nach acht Jahren Stillstand, 1‘250 Jahren Restlaufzeit und unzähligen Faxen (im wahrsten Sinne des Wortes) hat der Bundesrat offenbar die Faxen dicke und entschieden: Das elektronische Patientendossier (EPD) bekommt einen neuen Namen. Wie bei Waschmitteln gilt: Wenn’s keiner kauft, nennt man’s einfach anders. Aus dem EPD wird das elektronische Gesundheitsdossier (E-GD): neu, glänzend, zentralisiert. Und, selbstverständlich, für alle. Wer es nicht will, darf widersprechen. Ein bisschen wie bei der Kirchensteuer, nur digitaler, und mit etwas mehr Metadaten.

Während die Bevölkerung laut Bundesrat die «volle Kontrolle» über ihre Gesundheitsdaten behalten soll, werden Ärzte, Apotheker und Physiotherapeuten verpflichtet, brav zu liefern. Der Bund baut dafür eine zentrale IT-Plattform, die Daten bleiben «in der Schweiz» und sollen «höchsten Datenschutzstandards» genügen. Wer Bundes-IT kennt, weiss: Das ist ungefähr so beruhigend wie ein TÜV-Siegel auf einem Dampfkessel von 1890.

Denn: Wenn der Bund IT macht, dauert’s doppelt so lang, kostet dreimal so viel und funktioniert, wenn überhaupt, in der übernächsten Legislaturperiode.

Das Desaster mit Ansage

Seit der Einführung des EPD-Gesetzes im Jahr 2017 zieht sich das Projekt wie Kaugummi. Ende Juni 2025, also nach acht Jahren, waren bei gut neun Millionen Einwohnern erst rund 117’000 Dossiers eröffnet. Das sind 1,2 Prozent der Bevölkerung. Bei diesem Tempo dauert es nur noch 1‘250 Jahre, bis alle Schweizerinnen und Schweizer ein Patientendossier besitzen.

Die Gründe sind vielfältig, aber nicht überraschend: keine Pflicht zur Teilnahme, keine Vergütung, keine Integration, kein Nutzen. Dafür Formulare, Bürokratie und Login-Prozesse, die an mittelalterliche Pilgerreisen erinnern. 56 Prozent der Bevölkerung befürchten Missbrauch sensibler Daten, die restlichen 44 Prozent wissen offenbar nicht, was «Cloud» bedeutet.

Die Schweizerische Akkreditierungsstelle (SAS) hat derweil eine neue olympische Disziplin geschaffen: den Zertifizierungsmarathon. Bis 2022 waren gerade einmal sieben Stammgemeinschaften zertifiziert, jede mit eigenen Standards, Interessen und Serverproblemen. Das Resultat: ein digitaler Flickenteppich mit föderaler Farbpalette. Und mittendrin ein Bund, der sich Jahre lang weggeduckt hat.

Föderaler Murks mit Faxgerät

Seit der Pandemie wissen wir: Das Bundesamt für Gesundheit arbeitet noch mit Faxgeräten. Das erklärt einiges. Ausgerechnet das Leuchtturmprojekt der Digitalisierung endete als Warnbake.

Das EPD war nie ein Leuchtturm, eher eine blinkende Boje im Nebel föderaler Zuständigkeiten. Der Bund überliess das Steuer den Kantonen, die Kantone den Spitälern, die Spitäler den IT-Dienstleistern, und die IT-Dienstleister dem Zufall. Ergebnis: Jeder bastelte an seiner eigenen Lösung und alle zusammen an der nächsten Ausrede.

Hierzulande gilt: Digitalisierung ja, aber bitte föderal, dezentral, unpraktisch und jederzeit mit Anhörungsrecht.

Die neue Zentralmacht im Gesundheitswesen

Nun also die grosse Kehrtwende: Das E-GD soll alles besser machen: zentral, einheitlich, verpflichtend. Der Bund übernimmt die Kontrolle und erklärt, die Daten blieben «sicher in der Schweiz». Wer sie hackt, muss sich also wenigstens an Schweizer Recht halten. Neu werden alle Gesundheitsfachpersonen verpflichtet, behandlungsrelevante Daten hochzuladen. Ein Traum für Bürokraten, ein Albtraum für Praxen.

Das Dossier kommt automatisch, wer es nicht will, muss widersprechen. Ein digitales Default-Schicksal: Willkommen in der schönen neuen Gesundheitswelt, in der Bequemlichkeit zur Zustimmung wird. Die Bürgerin als Datensatz, der Patient als Prozess. Effizienz durch Erfassung.

Das E-GD wird zur nationalen Gesundheitsdatenbank, offiziell für Transparenz, inoffiziell für die totale Vernetzung. Denn wo Gesundheitsdaten zentral lagern, ist Kontrolle nur ein Software-Update entfernt.

Die Leidensgeschichte geht weiter

Die technische Umsetzung soll laut Bundesrat bis 2030 abgeschlossen sein. Wer Bundesprojekte kennt, rechnet besser mit 2040. Die Post, einst Favoritin, hat ihren Technologiepartner Siemens Healthineers verloren und sucht nun eine «bewährte europäische Lösung», diesmal mit der Firma Trifork. Andere Stammgemeinschaften fusionieren, rebranden oder verschwinden. Es ist wie beim European Song Contest (ESC): Die Punktevergabe ist unverständlich, aber alle tun, als ginge es um etwas Grosses.

Raider heisst jetzt Twix

Das E-GD ist kein Fortschritt, sondern eine kosmetische Reanimation eines gescheiterten IT-Projekts. Dieselben Köpfe, dieselbe Bürokratie, nur mit frischem Anstrich. Mehr Kontrolle, mehr Kosten, mehr Zentralismus, diesmal unter dem Etikett «Service public». Oder anders gesagt: Raider heisst jetzt Twix, sonst ändert sich nix.

Wenn alles gut läuft, funktioniert das System vielleicht in der nächsten Legislaturperiode und zwar so zuverlässig wie das Faxgerät im BAG.

Hoffen wir, dass die E-ID denselben Weg nimmt. Dann bleibt uns wenigstens bis 2035 der analoge Seelenfrieden: auf ehrlichem Plastik, ohne Zwang, dafür mit gesundem Misstrauen.

 

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