Dicke Hose in Berlin
Machtzentrale Schweiz
Der World Health Summit 2025 zeigt, wie Genf und Basel die globale Gesundheitsordnung lenken
Auftakt: „Fragmentierte Welt“? Von wegen – die Schweiz im Zentrum der Macht
Der World Health Summit 2025 (WHS 2025) in Berlin steht unter dem Motto „Taking Responsibility for Health in a Fragmenting World“ (Verantwortung für die Gesundheit in einer gespaltenen Welt übernehmen). Ein schöner Slogan, glatt, global, beruhigend. Doch hinter der Fassade des wohlklingenden Multilateralismus spielt sich etwas anderes ab: Die Welt mag fragmentieren, aber nicht dort, wo Macht, Geld und Steuerung konzentriert werden. Und dieser Knotenpunkt liegt nicht etwa in Brüssel oder Washington, sondern in Genf und Basel.
Die Schweiz steht nicht abseits dieser globalen Bühne, sondern im Maschinenraum. Dort, wo Institutionen wie Gavi, The Global Fund, WHO-nahe Thinktanks, Pharma-Allianzen und Humanitär-Cluster miteinander verflochten sind. Berlin ist 2025 nur der Schauplatz; die Regie führt längst ein Netzwerk, das aus Genf und Basel heraus operiert, mit Schweizer Exponenten, die in allen entscheidenden Panels vertreten sind.
Während die Öffentlichkeit von „Kooperation“, „Nachhaltigkeit“ und „Gesundheitsgerechtigkeit“ hört, geht es in Wahrheit um etwas anderes: um die Konsolidierung eines transnationalen Gesundheitsregimes, in dem politische Macht, digitale Infrastruktur, Geldflüsse und narrative Kontrolle eng miteinander verwoben sind. Und die Schweiz ist, ob bewusst oder unbewusst, Mittäterin und Mitgestalterin dieses Apparats.
Schweizer Exponenten in Berlin – Wer sie sind, was sie tun, und wofür sie stehen
Auf dem WHS 2025 findet sich eine ganze Phalanx von Schweizer Exponenten: CEOs, Direktoren, Minister und Wissenschaftler, die an Schlüsselpositionen sitzen. Sie bilden das Rückgrat der globalen Governance-Struktur, die von Genf und Basel aus operiert.
Diese Akteure decken die gesamte Kette ab: von der Regelsetzung und Finanzierung über Forschung, Daten- und KI-Infrastruktur bis hin zur moralischen und kommunikativen Flankierung.
Schweizer Exponenten und ihre Themenfelder am WHS 2025:
Cary Adams (Union for International Cancer Control, Genf)
- Schwerpunkt: Non-Communicable Diseases (NCDs) & Global Financing
- Vertreter des globalen Krebsnetzwerks UICC. Diskutiert den Ausbau internationaler Finanzierungsinstrumente für chronische Krankheiten, eng verwoben mit WHO, Gavi und der Gates Foundation. Symbolfigur der „privatisierten Global Health Governance“, bei der private Fonds öffentliche Gesundheitspolitik steuern.
Katie Dain (NCD Alliance, Genf)
- Schwerpunkt: Equity in Chronic Disease Policy & Social Justice in Health
- Bringt den Begriff „Gesundheitsgerechtigkeit“ in den Diskurs über chronische Krankheiten ein und verankert ihn in der Agenda 2030. Verkörpert das Modell der NGO-basierten, WHO-konformen Governance.
Ilona Kickbusch (Graduate Institute, Genf)
- Schwerpunkt: Global Health Governance & Multilateralism
- Dauerbrennerin für „Health Diplomacy“. Moderiert Panels zu Global Governance Reform, Health Sovereignty und Digital Global Health. Vordenkerin des Übergangs von nationaler Politik zur transnationalen Steuerung, kurz: „Global Health for Global Governance“.
Martin Fitchet (Medicines for Malaria Venture, Basel)
- Schwerpunkt: Public-Private Partnerships in Vaccine R&D
- Präsentiert gemeinsam mit CEPI und Wellcome Trust neue Modelle zur „accelerated vaccine readiness“. Ein Paradebeispiel für Basel als Standort von Pharma-Finanzierungsvehikeln auf WHO-Linie.
Petra Khoury (IFRC, Genf)
- Schwerpunkt: Emergency Response & Humanitarian Health Logistics
- Diskutiert die Rolle von Hilfsorganisationen in globalen Gesundheitskrisen, insbesondere die operative Umsetzung von WHO-Mandaten. Legitimiert humanitäre Interventionen im Rahmen globaler Krisenstrategien.
David Reddy (IFPMA, Genf)
- Schwerpunkt: Pharma Policy & Global Health Regulation
- Vertritt die Interessen der internationalen Pharmakonzerne. Thematisch eng verknüpft mit HERA, CEPI, Roche und WHO. Beispiel für die Schweiz als diplomatische Schaltstelle globaler Normensetzung.
Sania Nishtar (Gavi, The Vaccine Alliance, Genf)
- Schwerpunkt: Vaccine Equity & Digital Health Credentials
- Präsentiert Gavi-Projekte zur „digital verification of immunization“. Ein klarer Schritt in Richtung globales Impfzertifikats-System. Unterstreicht die Rolle Genfs als Drehscheibe digitaler Gesundheitsverifikation.
Peter Sands (The Global Fund, Genf)
- Schwerpunkt: Pandemic Preparedness Financing & Global Fund 2.0
- Leitet Diskussionen über „new financing instruments“ zur Pandemievorsorge. Der Global Fund agiert als Finanzmotor für künftige Gesundheitsinterventionen inklusive Pandemic Bonds und WHO-verknüpften Fonds.
Thomas Schinecker (Roche, Basel)
- Schwerpunkt: Diagnostics, Data & AI Integration
- Präsentiert Roche-Initiativen zu „Real-World Evidence“ und „Data-Driven Health Systems“. Verkörpert die Verschmelzung von Diagnostik, Daten und Künstlicher Intelligenz. Gesundheitsüberwachung als neues Geschäftsmodell.
Ricardo Baptista Leite (Health AI, Schweiz)
- Schwerpunkt: Artificial Intelligence in Global Health
- Mit dem Leitmotiv „Trustworthy AI for Health“ bringt er die technologische Umsetzung der WHO-Digitalstrategie auf die Bühne. Die Rhetorik der „digitalen Patientensouveränität“ dient als Deckmantel für globalen Datenzugriff.
Das Schweizer Netzwerk
fünf Machtachsen der globalen Gesundheitssteuerung
Achse A – Finanzströme & Pandemievorsorge
Die Schweiz beherbergt mit dem Global Fund, Gavi und mehreren WHO-nahen Institutionen die finanzielle Schaltzentrale der globalen Gesundheitsarchitektur.
Peter Sands vom Global Fund spricht in Berlin über „Pandemic Preparedness Financing“, ein Begriff, der harmlos klingt, aber tiefgreifend ist: Er steht für die Vorfinanzierung künftiger Gesundheitsnotstände, inklusive sogenannter pandemic bonds, die Spekulation auf Ausbruchswahrscheinlichkeiten ermöglichen. Gavi-CEO Sania Nishtar ergänzt dieses Modell durch das operative Rückgrat: Impfstoffbeschaffung, -verteilung und zunehmend die digitale Verifikation, also elektronische Gesundheitsnachweise, die als Grundlage für Zugangssysteme dienen könnten.
Martin Fitchet von MMV arbeitet an der Schnittstelle von Forschung und Kapital, Basel als Labor für neue Kooperationsmodelle zwischen Pharmaindustrie, WHO und Investoren. Zusammen bilden sie das finanzielle Nervensystem des globalen „Preparedness“-Regimes, das in Genf zentriert ist.
Achse B – Industriepolitik & Regulierung
Mit David Reddy (IFPMA) und Thomas Schinecker (Roche) zeigt sich die Schweizer Industrie als Drehpunkt zwischen Politik und Technologie.
Reddy vertritt die Interessen der Pharma-Allianz, die darauf drängt, regulatorische Prozesse zu harmonisieren, sprich: nationale Zulassungsbehörden sollen sich künftig an WHO-, EMA- oder HERA-Standards anlehnen. Damit entsteht ein globaler regulatorischer Korridor, der wirtschaftlich effizient, aber demokratisch fragwürdig ist.
Schinecker hingegen verkörpert die datengetriebene Zukunftsmedizin: KI-gestützte Diagnostik, Real-World Evidence, algorithmische Risikoanalyse. Roche arbeitet längst an der Integration klinischer und Alltagsdaten und definiert damit faktisch, was künftig als „wissenschaftlicher Beweis“ gelten darf. Basel wird so zum epistemischen Kontrollzentrum des digitalen Gesundheitssystems.
Achse C – Digital Health & KI-Steuerung
Hier treffen Baptista Leite (Health AI) und Schinecker (Roche) aufeinander. Beide forcieren die Digitalisierung der Gesundheitsinfrastruktur, allerdings unter dem Label „Trustworthy AI“. Ziel ist es, KI-gestützte Systeme nicht als Überwachung, sondern als „effiziente und gerechte Entscheidungsgrundlage“ zu verkaufen.
Die Schweiz, mit ihrem Mix aus Datensouveränität, Technologiefreiheit und WHO-Nähe, ist das perfekte Versuchslabor. Health AI ist Partner der WHO im Bereich „Digital Health Ethics“. Unter der Oberfläche geht es um globale Interoperabilität, also darum, dass Gesundheitsdaten überall nach denselben Standards gesammelt, geteilt und ausgewertet werden können. Wer die Standards kontrolliert, kontrolliert das System.
Achse D – NGO-Hebel & moralische Legitimation
Die Schweiz liefert nicht nur technische, sondern auch moralische Legitimation.
Cary Adams (UICC) und Katie Dain (NCD Alliance) positionieren sich als Vertreter „gerechter Gesundheitspolitik“. In Wirklichkeit verschmelzen sie NGO-Branding mit Machtpolitik: Nichtregierungsorganisationen (NGOs) dienen als soziale Tarnkappe für finanzielle und regulatorische Interessen. Petra Khoury (IFRC) wiederum organisiert auf operativer Ebene die Umsetzung, vom humanitären Einsatz bis zur Pandemievorsorge.
Damit liefert die Schweiz das „freundliche Gesicht“ einer Struktur, die zunehmend zentralisiert agiert.
Achse E – Kommunikation, Kontrolle & Informationsmacht
Hier tritt die Schweiz in einer besonders sensiblen Rolle auf:
Alain Berset, ehemaliger Bundesrat, ist heute Generalsekretär des Europarats und wird beim WHS 2025 als „Wächter der Informationsintegrität“ genannt. Unter diesem Begriff läuft ein neues, global abgestimmtes Narrativ: „Gesundheitskommunikation“ wird zur Sicherheitsfrage. Berset vertritt die Idee, dass Fehlinformation in Krisenzeiten demokratiegefährdend sei, eine Position, die sich nahtlos in WHO- und EU-Dokumente einfügt.
Parallel dazu liefert Ilona Kickbusch die intellektuelle Infrastruktur. Sie ist Herausgeberin der Reihe „Health as a Political Choice“ und prägte Begriffe wie „Global Health Diplomacy“. Kickbusch ist seit Jahren die Denkarchitektin des neuen Governance-Paradigmas: Gesundheit als politisches Steuerungsfeld.
Das Genfer Dreieck und die Basler Datenmacht
Genf – Hauptstadt der globalen Gesundheitsfinanzierung
In einem Radius von wenigen Kilometern sitzen in Genf: die WHO, Gavi, The Global Fund, UNAIDS, die IFPMA, das IFRC, mehrere WHO-Regionalbüros und Dutzende NGOs. Genf ist kein neutraler Ort, es ist der operative Hauptsitz des globalen Gesundheitsregimes. Entscheidungen, die in Berlin diskutiert werden, sind dort längst vorbereitet.
Basel – Labor der Technokratie
Basel, das Herz der europäischen Pharmaindustrie, stellt die Werkzeuge: Diagnostik, Big Data, Bioinformatik, künstliche Intelligenz. Unternehmen wie Roche und Novartis definieren Standards, die später als WHO-Richtlinien implementiert werden. Die Schweiz ist damit Normgeberin und Nutzniesserin zugleich.
Die Schweiz im Magazin „Health: A Political Choice“ – die ideologische Klammer
Parallel zum WHS 2025 erscheint das neue Sonderheft „Health: A Political Choice – The Future of Health in a Fractured World“ . Mitherausgeberin: Ilona Kickbusch, Genf. Darin finden sich Namen wie Tedros Ghebreyesus, Jeremy Farrar und Alain Berset, allesamt Stimmen, die für eine „neue globale Gesundheitsordnung“ werben.
Berset wird als Hüter der „Information Integrity“ porträtiert, ein Euphemismus für zentrale Kommunikationssteuerung.
Das Magazin wird vom Global Governance Project herausgegeben, einer Kooperation zwischen der GT Media Group (London), dem Global Health Centre (Genf) und der University of Toronto. Damit liefert die Schweiz nicht nur Autoren, sondern auch das intellektuelle Dach, unter dem globale Politik diskursiv legitimiert wird.
Brisanz und Widerspruch:
Die Schweiz zwischen Neutralität und Machtzentrum
Die Diskrepanz könnte grösser kaum sein: Offiziell pflegt die Schweiz ihre Neutralität, de facto ist sie das Zentralorgan eines transnationalen Governance-Netzwerks, das auf globale Durchgriffsrechte hinarbeitet. Von Genf aus wird Gesundheit längst als politisches Werkzeug verstanden, ein Vehikel zur Steuerung, Regulierung und Überwachung.
Was in Berlin als „Dialog“ verkauft wird, ist in Wahrheit ein abgestimmter Programmpunkt in einem mehrjährigen Prozess: Von den WHO-Verhandlungen (Pandemievertrag, IGV) über HERA in der EU bis zu den Digital-Health-Initiativen der G20. Es sind dieselben Knotenpunkte, dieselben Gesichter, dieselben Institutionen und die Schweiz als diskreter, steuerbegünstigter Maschinenraum globaler Machtarchitektur.
Und die Schweiz? Sie profitiert: steuerlich, politisch, reputativ. Sie verkauft ihre Neutralität als Standortvorteil, während sie still und effizient zum exekutiven Scharnier der globalen Steuerung avanciert.
Doch der Preis ist hoch: Verlust an demokratischer Kontrolle, Verflechtung mit Konzerninteressen, Instrumentalisierung der Neutralität. Ein Zustand, der unvereinbar mit direkter Demokratie, Souveränität und echter Neutralität ist – Konzepte, an deren Existenz ohnehin nur noch Nostalgiker glauben.
Die einstige Hüterin der Unabhängigkeit ist zur Drehscheibe einer technokratischen Agenda geworden und damit ein Widerspruch zu allem, was Souveränität, Neutralität und Demokratie einst bedeuteten. Die Schweiz exportiert Glaubwürdigkeit und importiert Macht, nur diesmal nicht die eigene.
Fragen, die wir stellen müss(t)en
- Welche demokratische Kontrolle gibt es über Schweizer Akteure, die globale Gesundheitsnormen definieren?
- Wie wird sichergestellt, dass Daten, die in Schweizer Systemen verarbeitet werden, nicht in globale Kontrollinfrastrukturen fliessen?
- Warum sitzt die Schweiz im Zentrum einer globalen Finanz- und Datenarchitektur, ohne dass darüber eine politische Debatte geführt wird?
- Was bedeutet „Information Integrity“ in einem Land, das Meinungsfreiheit als Grundpfeiler seiner Demokratie versteht?
- Und wer profitiert wirklich von der „Pandemievorsorge“? Die Bevölkerung oder jene, die Notstandspolitik zur Geschäftsgrundlage machen?
Die Schweiz ist nicht Zuschauer – sie ist Mit-Regisseur
Der WHS 2025 zeigt deutlicher als je zuvor: Die Schweiz steht nicht am Spielfeldrand. Sie hält das Drehbuch, besetzt die Rollen und liefert die Kulisse. Sie liefert das Gehirn (Governance), das Blut (Finanzströme), die Nerven (Daten), die Hände (NGOs) und die Stimme (Kommunikation) dieser globalen Architektur und das mit der stoischen Ruhe eines Landes, das sich immer noch als neutral bezeichnet, während es längst exekutive Schaltzentrale des neuen Gesundheits- und Sicherheitsregimes geworden ist.
Neutralität ist keine Ausrede mehr. Wer die Schaltzentralen beherbergt, trägt Verantwortung: gegenüber Freiheit, Grundrechten und demokratischer Kontrolle. Doch Verantwortung ist unbequem, vor allem, wenn die eigene Rolle so lukrativ ist. Die Schweiz profitiert vom Nimbus der Unparteilichkeit, während sie im Maschinenraum der globalen Steuerung den Hebel bedient.
Der Widerspruch ist grotesk: Ein Land, das seine Identität (zumindest für Werbezwecke) aus Neutralität und direkter Demokratie schöpft, steht heute an der Spitze einer technokratischen Agenda, die beides aushöhlt. Und wer glaubt, das sei nur ein vorübergehender Ausrutscher, glaubt auch noch an das Märchen vom Souverän, der irgendetwas zu entscheiden hätte.
Schlusswort: Wir können uns nur wiederholen
Macht gerne weiter auf dicke Hose in Genf, Basel oder auch Berlin. Verkauft der Welt eure Governance als Fortschritt, eure Fonds als Solidarität und eure Algorithmen als Rettung. Aber richtet euren Strippenziehern aus: Die Schweizer werden nie wieder bei irgendeinem erfundenen Notstand mitspielen.
Da kann Alain Berset von „Informationsintegrität“ schwafeln, so viel er will, wir beziehen unsere Informationen längst nicht mehr von irgendeiner Berner Clique, sondern aus eigenen Quellen und vor allem aus Erfahrung, Vernunft und gesunder Skepsis (so viel zum Thema gesund).
Die Schweiz mag klein sein, aber sie hat ein langes Gedächtnis und sie weiss, dass Freiheit nicht verwaltet, sondern verteidigt wird. Wir sind hellwach und diesmal nicht die Letzten, die es merken.
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