Die magische 39
Ein Schweizer Empörungstheater in fünf Akten
Satirisches Schweizer Empörungstheater über Strafzölle, Heuchelei und verpasste Chancen, pointiert und bissig erzählt.
Akt 1
Jahrzehnte der bequemen Amnesie
Genf – die inoffizielle Hauptstadt der diplomatischen Immunität. Hier treffen sich seit Jahrzehnten die grauen Eminenzen des Menschen-, Drogen-, Waffen- und Organhandels unter dem Mantel der internationalen Organisationen. Dank Immunitätsprivilegien kann man hier Dinge tun, für die in jedem anderen Land mindestens die Handschellen klicken würden.
Und Herr & Frau Schweizer? Sie nippen am Prosecco, solange der Pensionskassenbericht stimmt. „Das ist Diplomatie, das brauchen wir für den Weltfrieden“, heisst es, und man klappt beruhigt die Sonntagszeitung zu.
Akt 2
Die magische Zahl
Dann, eines Morgens, platzt die Nachricht: 39 % Strafzoll auf Schweizer Luxusuhren und anderes Feingut.
Nicht etwa wegen Menschenrechtsverstössen oder weil man seit Jahrzehnten graue Märkte duldet, sondern schlicht, weil es einem US-Präsidenten in den Kram passt, ökonomische Muskeln spielen zu lassen. Donald Trump reist nicht nach Basel, um vor der BIZ die goldene Treppe hochzuschreiten und mit Spalierlächeln das Finanzestablishment zu erfreuen. Er kommt nicht, um im Bilderbuchmodus „Schweiz , Hort der Stabilität“ mitzuspielen. Nein, er bleibt zu Hause und schickt einen Zollhammer. Zack.
Und plötzlich wackelt die Hollywoodschaukel auf jeder Schweizer Terrasse. Empörung! Landesverrat! Wirtschaftskrieg! Und weil man einen Schuldigen braucht, zeigt der Finger, wie praktisch, auf den indischen Novartis-CEO. Der muss herhalten, damit niemand fragt, warum man jahrelang mit glänzenden Augen die Novartis-Dividenden kassiert hat.
Akt 3
Die Farce der verpassten Trumpfkarten
Hier kommt der eigentliche Skandal: Wo war eigentlich die Schweizer Verwaltung, als sich dieses Szenario anbahnte?
In jedem halbwegs professionellen CEO-Office dieser Welt hätte es vor einem Gespräch mit Trump einen Szenarien-Ordner gegeben und „Trumpfkarten“ griffbereit. Man hätte Listen erstellt: Was will er? Was können wir bieten? Wo können wir ihm Zugeständnisse abringen, bevor er den Hammer auspackt?
Aber offenbar war niemand da. War es Sommerpause? Waren alle im verlängerten Sabbatical? Oder vielleicht an Bord von Billy Boys Jacht vor Dubrovnik, den Kopf im Sonnenhut vergraben, während in Washington die Zollpläne durchgewunken wurden? Man weiss es nicht und genau das macht es so grotesk.
Akt 4
Goldene Illusionen
Und während die Zollkeule schwingt, schmilzt im Tessin und in Neuchâtel tonnenweise Gold, oft für Kunden, die man lieber nicht im Geschäftsbericht aufführt.
Jahrzehntelang galt das als unantastbare Schweizer Königsdisziplin. Doch inzwischen können die Asiaten das genauso gut, manchmal sogar günstiger und schneller. Die alten Glanzargumente bröckeln, aber im Bundeshaus tut man so, als ginge das goldene Märchen ewig weiter.
Akt 5
Die BRICS-Phobie
Als ob das nicht reicht, ignoriert die Schweiz weitgehend die BRICS-Staaten als ernsthafte Wirtschaftspartner, offenbar aus Angst vor „Kontaktschuld“. Wer mit Russland oder China ernsthaft Deals macht, könnte ja in Washingtons Ungnade fallen. Lieber hält man sich an die altbekannten Netzwerke, auch wenn die zunehmend weniger Interesse haben.
Strategische Dummheit im Namen der politischen Korrektheit.
Epilog: Die Heuchlerei in Reinkultur
Die Schweiz hat jahrzehntelang vom globalen Spiel profitiert: von Genfs Immunitäts-Schutzschirm, von Basels BIZ-Netzwerken, vom Goldfluss im Tessin, von den Dividenden der Pharmagiganten. Alles war recht, solange es die eigenen Konten füllte. Doch 39 % Strafzoll, diese Zahl ist plötzlich nicht nur eine wirtschaftliche Zahl. Sie ist ein Spiegel. Ein Spiegel, der zeigt, wie selektiv die Empörung hierzulande funktioniert.
Vielleicht ist das die wahre „magische“ Kraft der 39: Sie bringt ans Licht, was man sonst lieber im Schatten der Alpen versteckt.
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