Krankenkassen-Filz
Die Schweiz im Prämienrausch
Warum unser Gesundheitssystem immer teurer – aber nicht besser – wird
Seit fast drei Jahrzehnten verspricht das KVG Wettbewerb und Kostendämpfung – eingetreten ist das Gegenteil. Statt sinkender Prämien erleben wir einen Filz aus Kassen, Politik und Pharma, der jede echte Reform im Keim erstickt. Ein Leserbrief von Dr. med. Peter Meier-Schlittler zeigt, warum Transparenz, Mut und Druck von unten heute nötiger sind denn je.
Auslöser des Leserbriefes war unser Beitrag vom 24. September 2025:
Lieber Verein WIR,
Vielen Dank dass Sie sich dem wohl frustrierendsten Thema in der Schweiz annehmen: den Krankenkassenprämien, die seit Jahren nur ein Richtung kennen….nach oben, wie auch die Löhne der Kassen-CEO! Der Titel Ihres Artikels wäre daher treffender: „Die Schweiz im Krankenkassen-Prämien-Rausch“. Und alle bisherigen politischen Massnahmen die Gegensteuer geben sollten, scheinen bisher im Sand zu verlaufen. Und die Lohndeckelung der Krankenkassen-CEO ist gescheitert… damit wird die stark politisch-psychologische Komponente auch dieses Systems untermauert: Das Gefühlt der Ungerechtigkeit eines Systems das sich selbst unterhält!
Erinnern Sie sich, liebe Leser, an die damalige Botschaft des BR vom 5.9.1994?
„Kostendämpfung durch mehr Wettbewerb: Das neue KVG bringt erstmals einen echten Wettbewerb unter den Krankenversicherungen und unter den Leistungsanbietern (Ärzteschaft und Spitäler). Die Konkurrenzsituation dämpft die Kostensteigerung wirksam indem z.B. die Krankenkassen einen Anreiz zum Abschluss günstiger Tarifverträge erhalten“….usw.
Nun: das Gegenteil ist eingetreten, wie vorhergesagt. Durch Bewilligungs- u. Zulassungs-Verfahren wurde die Konkurrenz ausgeschaltet, Preisvorschriften verhindern den Kostenwettbewerb und durch Zulassungsbewilligungen ist die Wahlfreiheit einem „Zwangskonsum“ gewichen. Durch die Ausschaltung des Preismechanismus, einem Hauptbestandteil des Lobbyismus, werden allen Leistungserbringer die Margen gesichert: „Kostensteigerung durch mehr Wettbewerb“ ist dem Gegenteil gewichen. Wie ein Lehrbuch zur „sozialistischen Planwirtschaft“ stellt das KVG die notwendigen Instrumente bereit um jegliche Konkurrenz Aussenstehender auszuschalten.
Fazit: Wir haben eine gutes Gesundheitssysteme – aber zu einem sehr hohen Preis der für viele Menschen nicht mehr tragbar ist! Die Lösung liegt nicht in einer einzigen Massnahme, sondern in einem systemischen Ansatz, der falsche Anreize beseitigt. Es braucht den politischen Mut, mächtige Interessengruppen (Kantone, Pharmaindustrie, Ärzteverbände) herauszufordern und die Strukturen zu vereinfachen. Der fehlende politische Wille ist das grösste Hindernis.
Vielleicht braucht es eine breite Volksbewegung, die von unten Druck macht – wie z.B. der „Verein WIR“ es versucht.
Letztendlich geht es um die Frage: Wollen wir ein effizientes, solidarisches und bezahlbares Gesundheitssystem? Wenn ja, müssen wir bereit sein, die bequemen Gewohnheiten und Machtstrukturen infrage zu stellen, wie z.B. die absurde Regulierungsdichte am Beispiel von Hilfsmittel/Medikamenten: Dieses Phänomen ist ein klassischer Fall von „Swiss Finish“ im negativen Sinne. Das System schottet sich künstlich ab, unter dem Deckmantel der „Qualitätssicherung“.
In Wirklichkeit handelt es sich um einen Protektionismus, der inländische Anbieter und deren Höchstpreise schützt. Die Leidtragenden sind die Versicherten, die für die gleiche Ware einen enormen Aufpreis zahlen müssen. Dies zeigt, dass das System nicht für den Patienten, sondern für Teile der Anbieter optimiert ist.
Der personelle Filz und das „Standesgenossen“-Prinzip:
Das ist der vielleicht wichtigste und am wenigsten diskutierte Punkt. Bei uns wird Politik stark durch das Milizsystem und Verbände gemacht. Das hat Vorteile, führt aber im Gesundheitswesen zu massiven Interessenkonflikten. Der Kantonsarzt, der über Spitalplanung mitentscheidet, ist oft selbst niedergelassener Arzt oder hat enge Verbindungen zu Spitälern.
Die Kommissionen im Parlament, die über das KVG entscheiden, sind mit Ärzten, Kassen-, Pharma-Vertreter und anderen Verbänden/Organisationen besetzt.
Bundesbeamte wechseln in lukrative Positionen in die Pharmaindustrie oder zu Kassenverbänden (und umgekehrt). Frage: Wie soll von diesen Stellen jemand das System fundamental infrage stellen, von dem er persönlich und beruflich profitiert? Es herrscht eine stillschweigende Übereinkunft: man mischt sich nicht in die gegenseitigen Pfründe ein, nach dem stillschweigenden CH-Prinzip: „Standesgenossen halten zusammen“ – das Prinzip erstickt so echte Reformen im Keim.
Und die damalige Vorhersehbarkeit der KVG-Folgen ist entscheidend. Es handelt sich nicht um ein unglückliches Versehen, sondern um ein systemisches Versagen mit Ansage. Das KVG von 1996 sollte den Wettbewerb bringen. Doch der Wettbewerb entstand nicht um die beste und effizienteste Gesundheitsversorgung, sondern lediglich um die günstigste Versicherungsprämie. Die Kassen haben kaum Möglichkeiten, um bei den Kosten der Leistungserbringer (Ärzte, Spitäler, Pharma) zu beeinflussen. Sie versuchen ihre Kosten zu senken durch die Anwerbung der risikoärmsten Kunden.
Konsequenz: Wo setzt man an?
Wenn die Ursachen so tief in Macht- und Interessenstrukturen verwurzelt sind, dann müssen die Lösungen ebenso systemisch und machtkritisch sein.
Transparenz und Unabhängigkeit erzwingen: Obligatorische Pausen für Beamte und Politiker, bevor sie in die Industrie wechseln können. Öffentliche, detaillierte Offenlegungspflichten für Interessensbindungen in allen relevanten parlamentarischen Kommissionen und Bundesbehörden.
Den Hebel bei der Nachfrage ansetzen: Da das Angebot so stark geschützt ist, muss die Macht der Nachfrager (der Patienten/Versicherten) gestärkt werden: warum ist Patienten der Bezug von günstigeren Medikamenten und Hilfsmitteln im Ausland nicht erlaubt? Warum nicht einen „Einkaufstourismus light“ für Gesundheitsgüter legalisieren und aktiv fördern? Das würde den Preisdruck auf den inländischen Markt erhöhen.
Externe, unabhängige Instanzen schaffen: Vielleicht braucht es eine Art „Wahrheitskommission“ oder ein unabhängiges, mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattetes „Kostenobservatorium“, das nicht mit den etablierten Interessenverbänden verflochten ist. Seine Berichte müssten verbindlich im Parlament behandelt werden.
Lieber Verein WIR, es geht nicht mehr nur um technische Korrekturen, sondern um eine grundlegende Macht- und Transparenz-Fagen. Solange diejenigen, die das System ändern sollen, die Hauptprofiteure der heutigen Situation sind, wird jede Reform „im Sande verlaufen“. Der Druck muss von außen kommen – durch Medien (wie Ihren Blog), Vereine und letztlich durch die Wähler, die diese Verflechtungen nicht länger hinnehmen wollen.
Darauf wies ich schon frühzeitig hin, wie z.B. hier:
Inside Paradeplatz, 3.4.2021 | Peter Meier-Schlittler, Arzt für Allgemeinmedizin FMH
25 Jahre Kranken-Versicherungs-Gesetz: Wo stehen wir heute?
Die Absicht, eine „hochstehende medizinische Versorgung zu tragbaren Preisen“ zu schaffen, ist mit dem neuen KVG nicht in Erfüllung gegangen.
Ganz herzlichen Dank für Ihren Einsatz zu einer Änderung in unserem kranken Gesundheitswesen.
Mit freundlichen Grüssen
Dr. med. Peter Meier-Schlittler
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