Anlegerschutz in der Schweiz: Wie stark ist er wirklich?

Oder: Wenn mein Wertpapier auf Weltreise geht

Beim nächsten Crash könnte einiges hops gehen

Kürzlich führte ich mit meinem Vermögensberater das alljährlich anfallende obligatorische Gespräch, ob sich mein Risikoprofil geändert hätte. Ich verfolge eine “dynamische“ Anlagestrategie, was der höchsten Risikoklasse entspricht mit maximal 85% Aktienanteil. Ich sagte zu ihm, dass ich bei dieser Strategie bliebe, denn wenn der totale “Finanzcrash“ käme, dann ginge sowieso alles hops, ob ich nun defensives oder dynamisches Glücksspiel betreiben würde. Er war mit der Antwort sehr zufrieden, weil uns beiden damit eine Umstrukturierung meines Depots erspart geblieben ist. Wir kamen im Verlauf des Gesprächs auf dies und das zu sprechen und auch auf das Buch von David Rogers Webb “The Great Taking“ zu sprechen, zu Deutsch “Die grosse Enteignung“, das er nicht kannte.

Massiver Vermögenstransfer geplant

David Rogers Webb, ehemaliger Hedge Fund Manager, beschreibt darin einen massiven, geplanten Vermögenstransfer: Durch verschachtelte juristische Konstrukte und globale Finanzregeln könnten grosse Finanzakteure bei der nächsten Krise auf private Vermögenswerte zugreifen, die im Vertrauen auf den rechtlichen Schutz in Brokerkonten, Fonds und Depots gehalten werden. Sein Kernpunkt ist, dass diese Konstrukte, wie z. B. „Security Entitlements,“ (Sicherheitsansprüche) den wahren Besitz verschleiern, um Vermögenswerte im Ernstfall zugunsten mächtiger Gläubiger zu enteignen – die perfekte Krise als Hebel.

Ich fragte meinen Vermögensberater, ob es solche neuen Regeln auch in der Schweiz gäbe, was er zunächst nicht beantworten konnte. Er rief mich aber wenige Tage später an und sagte mir, dass offenbar viele Banken in der Schweiz ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) an dieser Stelle geändert hätten bzw. das Depotreglement. Und jetzt öfters ein solcher Passus zu finden sei (eigene Hervorhebungen):

„Die Bank ist ermächtigt, die Depotwerte in eigenem Namen, aber auf Rechnung und Gefahr des Kunden bei einer Drittdepotstelle ihrer Wahl in der Schweiz oder im Ausland verwahren zu lassen. (…) Bei Verwahrung im Ausland unterliegen die Depotwerte den Gesetzen und Usanzen am Ort der Verwahrung. Wird der Bank die Rückgabe von solchen im Ausland verwahrten Depotwerten oder der Transfer des Verkaufserlöses durch das anwendbare ausländische Recht erschwert oder verunmöglicht, so ist die Bank nur dazu verpflichtet, dem Kunden einen entsprechenden Anspruch zur Herausgabe bzw. Zahlung zu verschaffen, wenn dieser besteht und übertragbar ist.“

Die Passage besagt, dass die Bank lediglich einen Anspruch auf Herausgabe gewährt – nicht die Herausgabe selbst. Im Klartext: Wenn die ausländische Verwahrstelle aufgrund der dort geltenden Gesetze die Herausgabe verweigert oder den Transfer blockiert, ist die Bank nicht verpflichtet, den Vermögenswert direkt zurückzugeben. Stattdessen beschränkt sich ihre Pflicht darauf, dem Kunden einen rechtlichen Anspruch auf Herausgabe zu verschaffen, falls dieser überhaupt besteht und übertragen werden kann. Das bedeutet, dass der Kunde im Worst-Case-Szenario nur einen Rechtsanspruch, jedoch keine direkte Garantie auf Rückgabe der Wertschriften hat.

Ein „Worst Case“ für im Ausland verwahrte Wertschriften könnte dann eintreten, wenn die ausländische Depotstelle oder das Land, in dem sie sich befindet, durch rechtliche oder wirtschaftliche Probleme den Zugriff auf die Wertpapiere einschränkt oder blockiert.

Beispiele für solche Szenarien:

  1. Insolvenz der ausländischen Depotstelle: Wenn die Depotstelle im Ausland insolvent wird und keine klare Trennung zwischen Kunden- und Eigenbeständen gewährleistet ist, könnten Kundengelder in die Konkursmasse der Depotstelle einfliessen. Die Kunden hätten dann nur Anspruch auf einen Teil der Insolvenzmasse – abhängig von lokalen Gesetzen, die möglicherweise vorrangig höhere Gläubiger bedienen.
  2. Lokale politische oder rechtliche Beschränkungen: Regierungen können in Krisensituationen Kapitalverkehrskontrollen verhängen, wodurch Wertpapiertransfers ins Ausland eingeschränkt oder unmöglich gemacht werden. Dies könnte durch Sanktionen oder Gesetze gegen ausländische Anleger zusätzlich erschwert werden.
  3. Wechselkurse und Währungsabwertung: Selbst wenn die Depotstelle theoretisch zur Herausgabe der Wertpapiere verpflichtet ist, könnte der Transfer des Verkaufserlöses durch Wechselkursrisiken und Währungsbeschränkungen stark an Wert verlieren.

In all diesen Fällen hat der Anleger oft nur das Recht, einen Anspruch geltend zu machen, aber die tatsächliche Auszahlung oder Rückgabe ist nicht garantiert. Die Bank übernimmt dann keine Haftung für die Erfüllung dieses Anspruchs, sondern vermittelt lediglich das Recht, das der Anleger selbst durchsetzen müsste!

Was lernen wir also?

In der Schweiz loben Banken und Aufsichtsbehörden gerne den starken Anlegerschutz und verweisen darauf, dass Wertschriften im Fall einer Bankinsolvenz automatisch im Eigentum des Kunden bleiben. Das klingt super – auf den ersten Blick. Doch ein genauerer Blick zeigt, dass dieses Versprechen seine Tücken hat. In den letzten Jahren haben, wie gesagt, einige Schweizer Banken ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) angepasst und können jetzt Vermögenswerte bei ausländischen Verwahrstellen lagern. Was das konkret bedeutet? Ironie an: Natürlich noch mehr Schutz für die Kunden. Ironie aus. Hier die wesentlichen Erkenntnisse und warum die Realität weniger rosig ist.

Erkenntnis Nr. 1: „Im Unterschied zu Einlagen werden bei einer Bank hinterlegte Wertschriften (Depotwerte) im Konkurs ausgesondert. Wertschriften fallen somit von vornherein nicht in die Konkursmasse. Damit dieser Rechtsanspruch im konkreten Fall durchgesetzt werden kann, müssen die Kundenbestände jedoch möglichst zeitnah identifiziert werden können.“ Quelle

Klingt beruhigend, oder? Wertschriften sollen also im Konkursfall “ausgesondert“ werden, also nicht in die Konkursmasse fliessen. Klingt, als wäre man als Anleger in der Schweiz bestens abgesichert. Aber dieser Schutz basiert auf einer “möglichst zeitnahen“ Identifizierung der Kundenbestände. Nun gut, wie leicht es ist, diese Bestände in der internationalen Verwahrungskette, die mittlerweile mehrere Schichten und Länder umfassen kann, “zeitnah“ zu identifizieren, steht auf einem anderen Blatt.

Wer also denkt, dass die Schweizer Banken im Ernstfall einfach eine Liste herausziehen und alle Bestände sauber aussondern, der liegt etwas daneben. Die Realität zeigt, dass Banken häufig mit globalen Verwahrern kooperieren, die nicht unter Schweizer Recht stehen. Kann der Schweizer Anleger also sicher sein, dass sein Depot “zeitnah“ ausgesondert wird? Sagen wir es mal so: Es wird auf eine schnelle Bürokratie gehofft, was bekanntlich nicht die grösste Stärke der internationalen Finanzwelt ist.

Erkenntnis Nr. 2: „Bislang war bei der Verwahrung von Bucheffekten nicht in der ganzen Verwahrungskette eine Trennung von Eigen- und Kundenbeständen gewährleistet.“ Quelle

Hier wird es spannend. Bislang also keine vollständige Trennung von Eigen- und Kundenbeständen in der ganzen Verwahrungskette? Da stellt sich doch glatt die Frage, wie die Bank tatsächlich sicherstellen will, dass das Kundenvermögen separat und sicher verwahrt wird. Eine Verwahrungskette, die bis zu internationalen Partnern reicht, wird leicht undurchsichtig. Vor allem, wenn Wertpapiere in ausländische Depotstellen eingebracht werden, wo andere, oft weniger strenge Regeln gelten.

Da fragt man sich: Wäre es da nicht einfacher, bei einer Pleite einfach zu hoffen, dass die Bank keine Unordnung gemacht hat? Die Trennung von Eigen- und Kundenbeständen wird jedenfalls nicht überall automatisch oder rigoros eingehalten. Ein echter Vertrauensschub für alle, die sicher schlafen wollen?

Erkenntnis Nr. 3: „Im Zuge der neuesten Anpassungen zur Bankeninsolvenz und zur Einlagensicherung per 1.1.2023 wurde dies nun geändert und dadurch der Anlegerschutz weiter gestärkt.“ Quelle

Ah, die neueste Regeländerung – per 1. Januar 2023. Das soll nun alles besser machen und den Anlegerschutz “weiter stärken“. Weiter stärken? Wurde nicht vorher schon von sicherem Anlegerschutz gesprochen? Diese Regeländerung betrifft vor allem die Anforderung, dass Banken die Eigenbestände und die Bestände ihrer Kunden auch in der Verwahrungskette trennen müssen. Das klingt löblich, aber wirklich neu ist es nicht. Die Idee, Eigenbestände nicht mit Kundenbeständen zu vermischen, ist im Prinzip die Basis des Depotgeschäfts – oder sollte es zumindest sein.

Diese “Stärkung“ greift jedoch nur bis zur nächsten Grenze, also dem nächsten Land, in dem die Verwahrstelle sitzt. Wird das Depot eines Schweizer Kunden in die USA übertragen, gelten US-amerikanische Insolvenzregeln, die wenig Rücksicht auf Schweizer Anlegerschutz nehmen. Dort können Kundeneinlagen und Wertpapiere in die Konkursmasse fallen.

Kein Grund zur Sorge – ausser, dass man bei einer ausländischen Pleite möglicherweise mit leeren Händen dasteht, oder?

Zusätzliche Perspektive: Die grosse Enteignung nach Webb

David Rogers Webbs Buch gibt dieser Problematik eine noch düstere Dimension. Webb erklärt, wie internationale Finanzregelungen, die eigentlich Anlegerschutz versprechen, tatsächlich eine massive Zentralisierung und den Zugriff auf private Vermögenswerte ermöglichen. Durch gesetzliche Konstrukte wie “Security Entitlements“ (Sicherheitsansprüche) wird das Eigentum an Wertpapieren von direktem Besitz zu einer blossen Rechtsforderung herabgestuft – ideal für eine grosse Enteignung “ , wenn Institutionen in wirtschaftliche Schieflagen geraten. Webb sieht eine geplante Enteignung durch juristisch festgelegte Finanzmechanismen vor sich, bei der Anleger in die Hände grosser Finanzakteure geraten, sobald sich eine neue Finanzkrise entfaltet.

Liebe Leute, geht zu Eurem Bank- oder Vermögensberater und fragt, ob Euer Depot im Ausland verwahrt wird (mit den dort gültigen Gesetzen) und wenn ja warum.

Noch eine historische Komponente

Die Gesetzesänderungen in den USA nach der Finanzkrise 2008 hatten offiziell das Ziel, das Finanzsystem stabiler zu machen und zukünftige Krisen zu verhindern. Durch den Dodd-Frank-Act  , der 2010 in Kraft trat, sollten strenge Auflagen für Banken und Finanzakteure eingeführt werden, um ähnliche Kollapsrisiken zu minimieren. Es wurde beispielsweise der sogenannte “Volcker-Rule“ eingeführt, die Banken daran hindern soll, mit Eigenkapital spekulative Geschäfte zu betreiben. Zentralbanken und Regulierungsbehörden erhielten zusätzliche Befugnisse, die Finanzmärkte zu überwachen, und systemrelevante Banken wurden strengeren Stresstests unterzogen, um ihre Stabilität zu gewährleisten.

Ironischerweise führten einige dieser Änderungen jedoch auch zu neuen Risiken und, wie Kritiker anmerken, zu einer verstärkten Zentralisierung und Vermischung von Kundeneinlagen mit Eigenbeständen. Durch das sogenannte Security Entitlement, das den tatsächlichen Besitz von Wertpapieren rechtlich in einen blossen Anspruch verwandelt, könnten Finanzinstitute im Insolvenzfall auf Kundeneinlagen zugreifen.

Man hat aus der Krise also gelernt – allerdings teilweise auf eine Art und Weise, die den Einfluss der grössten Banken und Finanzakteure noch verstärkt hat. Die Absicht war zwar, eine neue Finanzkrise zu vermeiden, aber die Realität zeigt, dass viele dieser Gesetze eher auf die Interessen der grossen Marktteilnehmer zugeschnitten sind. Kritiker sehen dies als Beweis dafür, dass die Banken zu “gross zum Scheitern“ (too big to fail) geworden sind und dass sich die Mechanismen für die Kontrolle über Kundengelder zu Ungunsten der Verbraucher weiter verschärft haben.